Samstag, 22. Dezember 2007

Aus welcher Zeit stammen die ältesten fossilen Insekten?

GuenterBechly

Interview mit dem Biologen und Paläontologen Dr. Günter Bechly, wissenschaftlicher Kurator am Staatlichen Museum für Naturkunde in Stuttgart und dort Sektionsleiter für die Bereiche Bernstein und fossile Insekten

http://www.bernstein.naturkundemuseum-bw.de/odonata/gbechly.htm

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Frage: Aus welcher Zeit stammen die ältesten fossilen Insekten?

Antwort: Das älteste vollständig bekannte fossile Insekt ist noch immer der Springschwanz Rhyniella praecursor aus den unterdevonischen (396-407 Millionen Jahre) Hornsteinen von Rhynie in Schottland. Reste von etwas moderneren, flügellosen Insekten, wie z. B. Felsenspringern und Silberfischchen, wurden in etwas jüngeren devonischen (390 Millionen Jahre) Schichten von Gaspé Bay/Quebec in Kanada und dem Oberdevon (379 Millionen Jahre) von Gilboa/New York in Nordamerika gefunden, sind aber teilweise in ihrer Deutung noch umstritten. Auch aus den Rhynie-Hornsteinen gibt es einen weiteren Rest eines flügellosen Insektes, nämlich das Bein eines vermutlichen Felsenspringers oder Silberfisches, der Leverhulmia mariae genannt wurde.
Lange Zeit glaubte man, dass es sich bei dem Fossil Eopterum devonicum aus dem Mittel-Devon von Russland um ein Ur-Insekt mit extrem primitiven Flügeln handele, bis sich vor einigen Jahren leider herausstellte, dass es sich bei den vermeintlichen Flügeln in Wirklichkeit nur um ein isoliertes Fragment vom Schwanzfächer eines Krebses handelt. Die ältesten bekannten geflügelten Insekten sind die Palaeodictyoptere Delitzschala bitterfeldensis aus dem Unteren Namurium (etwa 324 Millionen Jahre alt) von Ostdeutschland und eine unbenannte Urheuschrecke (Archaeoptera) gleichen Alters aus der Tschechischen Republik. Es gibt allerdings ein paar renommierte Wissenschaftler, die der Auffassung sind, dass es sich bei den fragmentarischen Fossil Rhyniognatha hirsti aus den oben erwähnten Rhynie-Hornsteinen um eine Kieferkaulade (Mandibel) eines geflügelten Insektes handeln könnte und somit die Evolution der Fluginsekten sehr viel früher stattgefunden habe als gemeinhin noch angenommen wird. Andere Spezialisten sind jedoch nicht einmal davon überzeugt, dass es sich bei diesem Fossil überhaupt um den Kiefer eines Insektes handelt.
Man sieht an diesen Beispielen auch, dass es in der Wissenschaft oft weniger um „festzementiertes“ Faktenwissen geht, sondern um die kritische Diskussion unterschiedlicher Hypothesen. Solche innerwissenschaftlichen Debatten werden von den Anhängern der biblischen Schöpfungsgeschichte, die derzeit nicht nur in Amerika auf dem Vormarsch sind und einem naturalistischen Weltbild den Kampf angesagt haben, natürlich immer wieder gerne aufgegriffen, um den Evolutionsforschern die Unsicherheit ihrer Thesen vorzuwerfen. In Wahrheit ist aber gerade diese gewisse Unsicherheit die große Stärke der Naturwissenschaften gegenüber dogmatischen Glaubenssystemen, denn gerade sie gestattet es ja falsche Hypothesen früher oder später durch kritische Überprüfung zu erkennen und zu verwerfen. Noch kein Kreationist konnte aber ein vernünftiges Kriterium nennen, bei dessen Erfüllung er seinen Glauben revidieren und die Evolutionstheorie als plausiblere Erklärung akzeptieren würde, während es sehr viele theoretisch denkbare Umstände gäbe, die die Evolutionstheorie ins Wanken bringen könnten: Beispielsweise eine ungeordnete stratigraphische Verteilung von sehr einfachen und sehr komplexen fossilen Lebewesen in sehr alten und sehr jungen geologischen Ablagerungen, oder das Vorhandensein völlig unterschiedlicher Mechanismen der Vererbung bei verschiedenen Pflanzen und Tieren, oder eine völlig chaotische statt weitgehend hierarchische Verteilung der Merkmalsähnlichkeiten zwischen den Organismengruppen, etc. Alle diese Befunde wären mit der darwinschen Evolutionstheorie unvereinbar, während die biblische Schöpfungstheorie mit jeder denkbaren Beweislage gleichermaßen vereinbar wäre. Letzteres ist aber ein typisches Kennzeichen für nichtssagende Theorien, vergleichbar der humorvollen Bauernregel „Kräht der Hahn auf dem Mist, ändert sich das Wetter oder es bleibt wie es ist“.

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